«The Big Island» – ein zugegebenermassen simpler, wenn nicht sogar banaler Name. Doch was wir auf der grössten der hawaiianischen Inseln vorfanden, war alles andere als banal.

Von Olivia

Nach der Landung in Hilo begrüssten uns erst einmal Regen und Kälte. Kein Wunder, denn die Hauptstadt von Big Island gilt als die nässeste Stadt der USA und als eine der nässesten der Welt. Dies sowie zwei gewaltige Tsunamis in den Jahren 1946 und 1960 haben dazu beigetragen, dass nicht Hilo, sondern Kona auf der sonnigen Seite der Insel, zum touristischen Zentrum von Big Island geworden ist. Doch das Stehaufmännchen Hilo hat sich immer wieder aufgerappelt und dabei seinen alten kolonialen Charme beibehalten. Kommen die eigenwilligen Einwohner hinzu, und so fanden wir eine Authentizität, die wir im touristischen Kona vermissten.

Schlussendlich erlebten wir in Hilo doch noch einen Tag in strahlendem Sonnenschein, statistisch gesehen nur einer von viereinhalb in einem Durchschnitts-April. Also nix wie raus zur Stadtbucht, ausgiebiges Schnorcheln war angesagt. Schon fast wieder an Land, entdeckten wir vor uns plötzlich einen grossen Schatten und trauten unseren Augen nicht: Vor uns schwamm eine Hawaiianische Meeresschildkröte, auf Polynesisch «Honu» genannt, in aller Seelenruhe zwischen den Korallen durch. Wir folgten ihr in diskretem Abstand während rund zehn Minuten und staunten, wie schnell das Tier vorankam bei den seltenen und langsamen Bewegungen. Wunderschön, diese Eleganz und Ruhe.

Schnorchel und Taucherbrille durften auch in Kona und Umgebung nicht fehlen. Einer der besten Schnorchelorte Hawaiis – und das finden auch wir – ist die Kealakekua Bay, wo Captain James Cook 1779 von wilden Ur-Hawaiianern ermordet und teilweise verspiesen wurde. Heute erinnert ein simpler weisser Obelisk an den grossen Seefahrer und europäischen Entdecker von Hawaii, das er damals «Sandwich Islands» nannte.

Höhenrausch auf dem Mauna Kea

Ab Meereshöhe in Kona fuhren wir tags darauf zum Vulkan Mauna Kea, dem höchsten Berg Hawaiis und, vom Meeresgrund gemessen, mit 10‘205 Metern auch der höchste Berg der Welt. Beim Visitor Center auf 2800 m.ü.M. liessen wir unser Mietauto stehen und schlossen uns zwei Einheimischen mit deren Offroader an, denn wir durften den Weg zum Gipfel nicht mit unserem Zweiradantrieb in Angriff nehmen. Bald fanden wir uns 4200 Meter über Meer auf dem Gipfel des Mauna Kea und fühlten zugegebenermassen die Höhe durch schnelleres Herzklopfen und eine leichte Benommenheit. Uns bot sich eine fantastische Sicht mit den Observatorien, dem Wolkenmeer und dem Nachbarvulkan Mauna Loa, dem weltweit grössten Vulkan in Sachen Landmasse.

Da wir als normalsterbliche Personen keinen Zugang zu den riesigen Profiteleskopen auf dem Gipfel hatten, warteten wir unten beim Visitor Center die Dunkelheit ab, um den hawaiianischen Nachthimmel durch kleinere Teleskope zu bestaunen. Mithilfe von jungen Astronomen machten wir Saturn ausfindig, ganz klein und klar war er mit seinem Ring erkennbar. Viel grösser und heller war der Halbmond in einem anderen Teleskop. Wie der unsere an Dunkelheit gewöhnten Augen blendete! Wie es wohl ist, wenn Vollmond herrscht? Übrigens froren wir auf dem Mauna Kea, was das Zeug hält, obwohl wir alle möglichen Schichten angezogen hatten. Doch das störte uns nicht weiter, nachdem wir in den ersten drei Monaten unserer Reise fast immer Bäche geschwitzt hatten. Ein völlig neues Lebensgefühl!

«Du siehst zu, wie die Lava langsam dein Haus begräbt»

Während der Mauna Kea als schlafender Vulkan gilt – er war letztmals vor 4000 bis 6000 Jahren aktiv –, spuckt der Kilauea im Süden von Big Island weiterhin fröhlich Lava aus, die den Berg hinunterfliesst und sich manchmal rot und zischend ins Meer ergiesst. Dann ist die hawaiianische Vulkangöttin Pele voll in Aktion, und auf dieses Spektakel haben wir uns schon lange gefreut. Doch was hörten wir von all den mehr oder weniger gut unterrichteten Quellen? Aus dem Kilauea sei letztmals Anfang März Lava ausgeflossen, zurzeit sei der jüngste aktive Vulkan der Welt relativ ruhig. Aha, Pele brauchte offenbar eine Verschnaufpause.

Nun denn, so suchten wir halt die neuste Lava auf, die es bis zum Meer hinunter geschafft hatte. Sie datierte vom Januar. Schon wahnsinnig, auf so jungem Gestein zu stehen! Stellenweise stieg sogar noch Dampf aus den Ritzen auf. Dazwischen ragte ein Metallgerüst aus der schwarzen Masse, gemäss dem langhaarigen Infomann vor Ort der Überrest eines Hauses, das der Januar-Lava zum Opfer gefallen war. «Das war Peggys Haus», erklärte er, «und da drüben liegt Garys Haus begraben, dort jenes von Jane...» Als die Lava den Berg hinuntergeflossen sei, hätten diese Leute tagelang zusehen können, wie sich die zähe Masse im Schneckentempo ihren Häusern nähert, um diese langsam einzunehmen. «Aber wissen denn die Bewohner nicht, dass sie ihre Häuser mitten in einer Lavazone bauen?», wollten wir wissen. «Ja, natürlich wissen sie es, und das ist genau der Grund, warum sie sich dort niederlassen.» Ja, es gibt schon schräge Leute, und offenbar haben sie auch das nötige Kleingeld für solche «Spässe». Man gönnt sich ja sonst nichts, oder?

Nach den Superlativen «nässeste Stadt», «höchster Vulkan» und «jüngster aktiver Vulkan» wartete nun noch das Koordinaten-Highlight: der südlichste Punkt der USA. Diesen fanden wir, wie kann es anders sein, am South Point. Wenn wir nicht gewusst hätten, dass wir in Hawaii sind, fernab vom US-Festland, hätten wir wohl gedacht, uns in den Mittleren Westen der USA verfahren zu haben: hohes, im Wind wallendes Gras, Kühe, Pferde, Windkraftwerke... Am South Point selbst kam es uns irgendwie unwirklich vor, dass nun über 300 Millionen Leute im Land nördlicher sein sollen als wir selbst.

Bitte keinen grünen Sand mitnehmen!

Unwirklich war für uns kurze Zeit später auch der Anblick des nahe gelegenen Green Sands Beach. Tatsächlich, grüner Sand! Eine Neuheit nach den roten, schwarzen, weissen sowie undefinierbaren Stränden, die wir auf dieser Welt bereits besucht haben. Des Rätsels Lösung: Der Sand besteht unter anderem aus Körnchen des olivgrünen Olivin-Steins vulkanischen Ursprungs. Solcher Sand ist natürlich begehrt, und so erstaunte es nicht, dass überall um den Strand Schilder mit der Aufschrift «Don’t take any sand with you» angebracht waren. Gut so, denn bei all den Sanddieben würde die Insel langsam schrumpfen, bis der Name «The Big Island» nicht mehr passen würde – wobei genau das die Chance für einen originelleren Namen wäre.

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