Schlafen in einfachen Strandhäuschen, Meeresrauschen inklusive. Überall kleine Dörfer – und mittendrin erschlagen einen überdimensionierte Kirchen. Was hat es damit auf sich?

Von Rafael

Ist es das leise Gurgeln der kleinen Wellen am Strand, oder ist es das dumpfe Grollen der Dünung weit draussen am Riff, das mich sanft aus dem Land der Träume aufweckt? Ich öffne die Augen, und ohne den Kopf zu heben oder zu drehen, sehe ich, wie die Sonne den Fluten entsteigt. Der Gischt der Wellen, die Palmen, der ganze Strand werden in goldenes Licht getaucht.

Wir schlafen in Fales, traditionellen samoanischen Häuschen auf Stelzen direkt am Strand. Eine Schaumgummimatte, ein Moskitonetz und ein Licht, das ist meistens schon die komplette Innenausstattung. Einen Ventilator oder eine Klimaanlage braucht es nicht, denn die Häuschen haben keine Wände und sind somit wunderbar durchlüftet, für Privatsphäre lassen sich Matten aus Palmblättern herunterklappen. Durch diese Bauweise gleichen die Dörfer ein wenig griechischen Tempelstätten mit Wellblechdächern.

Wir mieten uns ein Auto, um Upolu und Savaii, die zwei doch etwas grösseren Hauptinseln des Landes, zu erkunden. Der vermeintliche Superdeal, den wir mit der Autovermietung ausgehandelt haben, entpuppt sich als doch nicht so hervorragend. Nach der zweiten Panne wird unser Wagen ausgetauscht. Seither sind wir mit einem überdimensionierten Familienvan unterwegs, offenbar der einzige andere Wagen der Autovermietung.

Irgendwie kommt mir in Samoa alles sehr vertraut vor, kein Wunder, es ist auch schon das zweite Mal, dass ich dieses kleine Land am westlichsten Ende der Zeitzonen besuche. Viel scheint sich seither nicht verändert zu haben. Das Leben in den Dörfern hier nimmt seinen gemächlichen Lauf. Freundliche Menschen, Schweinchen, Hühner, Palmen das Meer. Fast alles, was die Bewohner zum Leben brauchen, wächst gleich neben dem Haus. Auf den ersten Blick wähnt man sich hier im Paradies, doch wie überall, wo Menschen leben, gibt es auch hier Sonnen- und Schattenseiten. Einerseits sind die Leute komfortabel eingebettet in ein kompliziertes Gesellschaftsystem, bestehend aus Familienclan, Dorfgemeinschaft und Kirche. Auf der anderen Seite ein Leben ohne viel Platz für individuelle Freiheit sowie eine der höchsten Suizidraten unter jungen Menschen weltweit. Dass mit der Gesellschaft nicht alles zum Besten steht, sehen wir auch an den zahlreichen gelben Schildern am Strassenrand mit der Aufschrift «Say no to rape and other indecent acts».

Was uns ebenfalls unweigerlich ins Auge sticht, sind die überdimensionierten und perfekt gepflegten Kirchen in jedem noch so kleinem Dorf. Ein fragwürdiges Statussymbol einer Gesellschaft, die zum grossen Teil auf die finanzielle Unterstützung von Familienangehörigen im Ausland angewiesen ist. Ich bin zwar froh, nicht von irgendwelchen Wilden mit Holzknüppeln niedergestreckt und aufgefressen zu werden – ein Schicksal, das vielen der ersten Europäer blühte, die in alten Zeiten in die Südsee bereisten. Doch bei so viel Frömmlerei stellen sich mir unweigerlich die Nackenhaare auf. Die Südsee, ein Spielplatz für Missionare jeder erdenklichen christlichen Glaubensgemeinschaft. Hirngewaschene Personen, die an paradiesische Orte reisen, um durch ihre hirngewaschenen Ideen eine Hölle aus religiösem Zwang zu erschaffen.

Obwohl mein Verstand den «Komfort» nicht zulässt, religiös zu sein, habe ich mich doch überwunden, eine Sonntagsmesse zu besuchen. Eine Reise in die Vergangenheit, ich fühle mich wie in die Kolonialzeit zurückversetzt. Auf der einen Seite die Männer und Frauen, eingekleidet ganz in Weiss. Die Frauen mit weissen Hüten und traditionellen Strohfächern, die Männer mit weissen Lava Lavas, traditionellen Männerröcken. Auf der anderen Seite die Kinder, ebenfalls in Weiss mit ihren Aufpasserinnen. Irgendwie bin ich froh, dass ich die eindringliche Predigt des Pfarrers nicht verstehe. Eine Belohnung für meine Überwindung gibt es aber doch, den Kirchengesang in polynesischer Sprache finde sogar ich himmlisch.

Trotzdem, die Samoaner geben Acht auf ihre Kultur, sei es durch ihre ausgiebigen Festessen aus dem Erdofen, durch ihre Gesänge und Tänze, durch die traditionellen Tätowierungen, die Blumen in den Haaren und nicht zuletzt durch ihre Freundlichkeit. Samoa ist und bleibt eines der gastfreundlichsten Länder, die ich je bereist habe, für mich das Herz von Polynesien.

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