Hauptkategorie: Südamerika
Kategorie: Bolivien
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Bolivien hat es in sich, im wahrsten Sinne des Wortes: Wir besuchen einen nicht ganz ungefährlichen Arbeitsplatz, die Minen von Potosí. Wieder draussen, düsen wir durch die unwirklichen Landschaften des bolivianischen Altiplanos – Salzseen inklusive.

von Rafael

Es war einmal ein Berg im Hochland von Bolivien, der war voll von Silber. So viel Silber gab es in diesem Berg, dass ihn die spanischen Eroberer Cerro Rico nannten, den reichen Berg. Sie errichteten die Stadt Potosí zu Füssen des Berges, seiner Zeit eine der reichsten Städte weltweit. Doch all dieser Reichtum hatte seinen Preis. Die Spanier zwangen die lokale indigene Bevölkerung, unter abscheulichsten Bedingungen und Tausenden von Toten in den Minen des Berges zu schuften. Als diese sich weigerten, griffen die Spanier zu einem Trick: Am Eingang jeder Mine stellten sie eine Statue des Teufels auf, der die Mineure verschlingen sollte, sollten sie sich weigern, weiterzuarbeiten.

Potosí, mit 4070 m.ü.M. die höchstgelegene Stadt der Welt, hat zwar einiges von ihrem ehemaligen Glanz eingebüsst, aber noch immer zeugen die imposanten Kolonialbauten vom einstigen Wohlstand. Auch der Cerro Rico thront noch immer mächtig und bedrohlich als perfektes Dreieck über der Stadt, Fluch und Segen zugleich. Durchlöchert wie ein Schweizerkäse nach über 400 Jahren Minentätigkeit, ist sein Einsturz aber schon seit langem überfällig. Das müssen wir doch anschauen. Also nichts wie rein in den Berg, so lange er noch steht, er wird wohl kaum gerade jetzt über unseren Köpfen in sich zusammenfallen.

Sicherheitsmassnahmen, was ist das?

Übergewand, Helm, Lampe und Gummistiefel – wir sind gerüstet, um die Eingeweide des Berges zu erkunden. Aber zuerst stoppen wir noch beim Mineur-Markt, um Geschenke für die Arbeiter zu kaufen. Hier bekommt man alles, was das Herz eines Mineurs höher schlagen lässt: Neben Cocablättern, Alkohol, Tabak und suspekt knallfarbenem Orangensaft gibt es auch nützlichere Dinge wie zum Beispiel Sprengstoff. Als mir unser Guide, ein ehemaliger Mineur, eine Stange Dynamit mit den Worten «here, catch!» zuwirft, erschrecke ich dann doch. Eigentlich soll das Zeug ohne Zünder ja harmlos sein, aber ob es hier auch professionell gelagert wird?

Immer den Helm anbehalten und sich an die Stollenwand drücken, wenn ein Minenwägelchen auf uns zugestossen wird, die haben nämlich keine Bremsen. Das sind die zwei einzigen Instruktionen, bevor es definitiv reingeht in den Schlund.

Wenige Meter vom Eingang entfernt steht er in einer Nische: der «Tío» wie ihn die Mineure nennen, eine Statue des Teufels, übersät mit Cocablättern, Zigaretten und anderen Opfergaben. Die Statue verfügt übrigens über einen Penis, dabei habe ich immer gedacht, der Teufel sei, wenn nicht weiblich, dann zumindest geschlechtslos. Aber die Minen sind definitiv in Männerhand. Olivia ist als einzige Frau in unserer Gruppe eine wahre Attraktion für die Mineure und muss so manche unangenehme Bemerkung über sich ergehen lassen.

Wir stolpern, klettern und kriechen durch ein Labyrinth von Tunnels immer tiefer in den Berg. Die Stollen sind ungesichert, und der Fels alles andere als kompakt. Wir atmen den gefährlichen Staub ein, dem die Mineure hier unten tagtäglich in Schichten von bis zu 24 Stunden ausgesetzt sind. Ihre Lebenserwartung beträgt demnach auch nur etwa 40 bis 50 Jahre. In einem sehr engen Durchgang liegen Dynamitstangen am Boden, auf die wir besser nicht treten sollten.

Näher bei der Explosion als die Mineure

Endlich erreichen wir einen Schlund, der senkrecht in die bodenlose Tiefe zu führen scheint. Für Olivia und zwei weitere der Gruppe ist hier Schluss. In Begleitung unseres Guides und zwei Jungs klettere ich rein in das Loch. Ich halte mich an einem Seil mit Knoten fest, bis ich das obere Ende einer etwa zehn Meter langen Leiter erreiche. Am unteren Ende der Leiter angekommen, bemerke ich, dass dieselbe auf einem nassen Brett über einem weiteren Stollen steht.

Eine zusätzliche Leiter tiefer, treffen wir auf drei Mineure, die gerade eine Sprengung vorbereiten. Einer der Mineure scheint es für keine so gute Idee zu halten, uns Touristen während der Sprengung dabei zu haben. Was wiederum unseren Guide nicht zu kümmern scheint. Das erste Mal wird mir etwas mulmig zumute, als ich sehe, wie kurz der sogenannte Sprengmeister die Lunte abschneidet. Als er dann vor unseren Augen auch noch ein Feuerzeug zückt und die Lunte in Brand setzt, werde ich definitiv nervös. Zeit zum Überlegen bleibt aber nicht, denn jetzt heisst, es in Deckung zu gehen. Wir sprinten durch den Stollen hinter die nächste Ecke. Hier bedeutet uns unser Guide, dass wir sicher seien. Schwer zu glauben, zumal alle anderen Mineure weiter in den Stollen zurückweichen. Die Sekunden vergehen endlos. Dann, die erste Explosion, kurz darauf die zweite. Der Stollen bebt, kleine Steinchen lösen sich aus der Wand. Der Spuk ist vorbei, der Stollen hält noch immer. Wir klettern alle wieder heil nach oben.

Nach zweieinhalb Stunden unter Tag sind wir alle froh, wieder Tageslicht zu erblicken. Für uns war es ein einmaliges eindrückliches Abenteuer. Für die Hunderten Mineure, die hier tagtäglich ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, ist es bitterer Alltag. Sie können nur hoffen, dass der Tío ihnen für einen weiteren Tag gnädig gestimmt ist.


Von Olivia

Rösseln im Wilden Westen

Dankbar, dass sich unsere gewohnte Arbeitsumgebung nicht in einer Mine befindet, sagen wir Potosí Adios und fahren gen Süden. Zum Glück lässt mich meine Verdauung auf der siebenstündigen Busfahrt nach Tupiza mal in Ruhe. In Bolivien geht man unterwegs am besten möglichst selten auf die Toilette, da eine solche praktisch nicht zu finden ist ausserhalb von Hotels. Wie meine Schwester einst treffend auf den Punkt brachte, sind nämlich die Dörfer, in denen die Busse stoppen, die Toiletten selbst.

In Tupiza angekommen, fühlen wir uns wie im Wilden Westen der USA, sind wir doch umgeben von rötlichen Felsformationen à la Monument Valley. Und was unternimmt man da am besten? Genau, eine Tour hoch zu Ross. Mit dem Guide Sergio rösseln wir gemütlich in den Inka-Canyon hinein und staunen nach jeder Ecke von Neuem über die geologischen Kunstwerke.

Tags darauf geht es los auf unsere viertägige Tour zu den Naturwundern Südwest-Boliviens, diesmal mit zwei Jeeps. In unserem sitzen auch ein australisch-deutsches Paar, eine anstrengende Holländerin und am Steuer unser schweigsamer Guide Milton. Im anderen Auto befinden sich der blutjunge Fahrer, die launische Köchin und als Gäste ein Deutscher, ein Hardcore-Party-Amerikaner sowie ein französisches Paar. Der langhaarige Mann und seine Frau arbeiten auf der ganzen Welt als Tauchlehrer, und der Tiefenrausch hat offenbar dafür gesorgt, dass der Monsieur oft ein hysterisches, aber doch ansteckendes Zeichentrickfiguren-Lachen von sich gibt.

Wie auf einem anderen Planeten

Auf dem Weg machen wir auf 5000 m ü. M. Halt an Lagunen mit Farben der ganzen Palette, sehen schlafende und rauchende Vulkane, Marslandschaften (aha, von dort kommen also diese Fotos vom «Mars Rover»), Geisterdörfer und bewohnte Dörfer, wenn auch sehr verschlafene. Nur die ab und zu auftretenden Tornados sorgen dafür, dass sich die Leute blitzartig ins nächste Gebäude verziehen. Es gibt auch genug Action, als auf der staubigen Schotterpiste ein Lastwagen voll mit Schwefelsäure auf uns zurast und aggressiv lichthupt. Einen gefühlten Meter Platz lässt er uns auf der Seite, unser Guide reisst das Steuer herum und kommt gerade noch durch zwischen Lastwagen und Abgrund. Kaum ist der Schreckensmoment vorbei, meint Milton furztrocken: «Der Fahrer war wohl betrunken.»

Nach drei eiskalten Nächten – da sind auch manche Bäche gefroren – kommt der grosse Moment, das Highlight zum Schluss der Tour: der Salar de Uyuni, mit über 12'000 Quadratkilometern der grösste Salzsee der Welt. Wir verlassen das Salzhotel um fünf Uhr morgens – die Holländerin trägt bei null Grad Celsius bereits sehr kurze Hosen – und geniessen auf dem Salar einen fantastischen Sonnenaufgang. Mit bis zu 100 km/h auf Salzseen düsen wir weiter auf die Isla del Pescado, eine Insel voller Kakteen. Die intensiven Farben, vor allem das blendende Weiss des Sees und das knallige Blau des Himmels – alles kommt uns unwirklich und utopisch vor. Irgendwo in der Mitte des Salar machen wir Halt für eine ausgedehnte Fotosession. Er ist äusserst beliebt für alle möglichen und unmöglichen Perspektivenfotos, die Ideen sind teils wirklich abartig. Auf diese seltsamen Blüten werde ich lieber nicht näher eingehen.

Einen Tag später fliegen wir mit einem Kleinflugzeug wieder gen Norden, nach La Paz, und lassen nochmals das riesige weisse Wunder von Uyuni an uns vorbeiziehen.

 

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