Runter vom Altiplano, rein in die grüne Hölle des Amazonas. Wir besuchen den grössten Fluss der Welt, nächtigen im Filmhotel, werden von den Dschungelmoskitos fast aufgefressen und bereisen zwei neue Länder.

Von Rafael

Eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit schlägt uns entgegen, als wir das Flugzeug verlassen. Die Luft ist so dicht, als liesse sie sich mit einem Messer zerschneiden. Was für ein Unterschied nach über einem Monat Trockenheit, Kälte und dünner Hochlandluft des Altiplanos. Wir sind im Dschungel gelandet, und zwar mittendrin. Iquitos in Peru ist die grösste Stadt der Welt, die nicht auf dem Landweg erreichbar ist. Rundherum gibt es nur undurchdringbaren Urwald, und das über tausende von Kilometern. Auf einer Strasse lässt sich Iquitos aber doch erreichen: Auf einer Strasse der Superlative aus Wasser, dem sagenumwobenen Amazonas, dem längsten Fluss auf unserem Planeten. Ganz stimmt das allerdings nicht, oder nicht mehr. Der Amazonas hat mit der Zeit seinen Lauf geändert, und so liegt Iquitos jetzt nur noch an einem Nebenarm. Vielleicht ein Zeichen der Herabstufung der einst vor Reichtum strotzenden Kautschuk-Stadt.

Hitze, Hektik und Hupen

Wir werden von einem Taxi abgeholt, das uns ins Hotel bringt, doch wir müssen bis zur Abfahrt noch kurz auf dem Parkplatz warten. Dies nützt Olivia aus, um sämtliche allein herumstehenden Gepäckwägelchen einzusammeln und zusammenzustellen. Mich amüsiert dieser Anflug von überschüssiger Energie, unser Höhentraining der letzten Zeit trägt anscheinend Früchte.

Wir logieren bei einem Schweizer namens Walter Saxer. Er ist hier im Dschungel steckengeblieben, nachdem er vor vierzig Jahren als ausführender Produzent an Werner Herzogs Film «Fitzcarraldo» gearbeitet hat. Sein Hotel heisst dementsprechend auch «Casa Fitzcarraldo». Zwar ist es eher am oberen Ende unserer Budgetskala, dafür ist es eine wunderbare Stätte der Ruhe im sonst so hektischen Iquitos.

Zwar ist Iquitos nicht unbedingt hektischer, schmutziger oder lauter als andere südamerikanische Städte, die wir besucht haben, aber in Kombination mit tropischer Hitze und Feuchtigkeit werden sämtliche Eindrücke multipliziert. Erstaunlich ist, dass der Verkehr hier keiner Weise anderen Städten nachsteht, obwohl die Stadt ja gar nicht über Land erreichbar ist. Privatverkehr gibt es dementsprechend fast keinen. Dafür sind die Strassen verstopft mit Bussen und unzähligen bunten Mototaxis, dem südamerikanischen Pendant zum thailändischen Tuktuk. Die Fahrer vertrauen mehr ihrer Hupe als den Verkehrsregeln. Als Fussgänger ist man hier, wie überall in Südamerika, am untersten Ende verkehrstechnischen Nahrungskette angesiedelt und dementsprechend gefährdet.

Obwohl mir die Stadt mit ihrer Lebendigkeit gefällt, wollen wir raus in die Natur und rein in den Dschungel. Die Suche nach dem richtigen Touranbieter stellt sich als richtiggehender Spiessrutenlauf heraus. Zeitweise werden wir von bis zu sechs Kommissionsjägern der hartnäckigsten Sorte verfolgt, bis Olivia schlussendlich der Kragen platzt und sie alle gehörig auf Spanisch zusammenscheisst. Danach haben wir Ruhe. Immerhin hat sich die Suche gelohnt, die Auswahl unseres Touroperators ist ein Treffer ins Schwarze.

Aber noch sind wir nicht ganz fertig mit der Stadt, denn was ist ein Besuch von Iquitos ohne einen Abstecher in den berühmt-berüchtigten Markt von Belén? Neben allem, was man zum Leben braucht oder auch nicht, gibt es hier nämlich auch eine ganz besondere Spezialität, die ich mir auf keinen Fall entgehen lassen will: den gegrillten Palmwurm Suri. Was für eine Enttäuschung! Die schön auf einem Grillspiess aufgereihten, daumengrossen Insektenlarven sind etwas vom Übelsten, was mir je zwischen die Beisser geraten ist. Zuerst musste ich mal die gummige Haut durchbeissen, um auf das schleimige Innere zu stossen, einer Geschmackskombination aus Rührei und vergorenem Fisch. Vielleicht war er einfach noch nicht lange genug auf dem Grill.

Der Geburtsort des Amazonas

Mit dem Taxi geht’s raus aus Iquitos – habe ich gerade geschrieben «mit dem Taxi»? Gibt es also doch eine Strasse raus aus Iquitos? Die Antwort ist ja. Sie führt aber nur in den Nachbarort, und da ist dann auch schon wieder Schluss. Wir steigen um aufs Boot und fahren den Río Marañon hinunter bis an die Stelle, wo er mit dem Río Ucayali zusammenfliest. Ein optisch sehr unspektakulärer Ort, die Ufer sind flach und bewaldet, und die beiden Flüsse so breit, dass wir gar nicht wirklich erkennen, dass hier zwei Gewässer zusammenfliessen. Aber trotzdem ist dies ein besonderer Ort: Der Fluss, der hier entsteht, trägt den Namen Amazonas. Wir befinden uns auf dem grössten Fluss der Erde.

Dichter Dschungel wechselt sich ab mit kleinen Plantagen und einfachen Dörfern. Indigene Leute waschen Kleider im Fluss oder fischen von flachen Einbaumkanus aus. Der Nebenarm des Amazonas, den wir hinauftuckern, wird zusehends schmaler, der Dschungel immer wilder und urtümlicher und der Pflanzenteppich auf dem Wasser immer dichter, bis kein Durchkommen mehr möglich ist. Wir sind da. Vor uns stehen mehrere Holzhütten auf Stelzen, verbunden durch einen Steg. An der dunklen Linie an den Stelzen sehen wir, wie hoch das Wasser während der Regenzeit steigt. Bis zu 15 Meter soll der Wasserspiegel anschwellen und den ganzen Wald überfluten.

Die nächsten Tage durchstreifen wir mit unserem Guide Luis die nähere Umgebung. Wir beobachten Vögel und Affen, wobei ich bei letzteren nicht ganz sicher bin, wer da wen beobachtet. In der Nacht jagen wir kleinen Kaimanen nach und stolpern im spärlichen Schein unserer Taschenlampen über giftige Schlangen, grosse Spinnen und Skorpione. Wir fischen Piranhas, die danach auf unserem Teller landen. Sie sind zwar lecker, sind aber so klein, dass kaum was Essbares dran ist. Da haben es die Moskitos mit uns besser. Sobald das Licht im Schatten des Waldes etwas diffus wird, stürzen sich die Minivampire in Scharen auf uns, da nützen auch lange Kleidung und Insektenspray wenig. Schlussendlich sehe ich aus, als hätte ich die Masern.

Was ist denn das, ist da nicht soeben was Grosses aus dem Wasser gesprungen, etwa ein Flussmonster? Es sind die sagenumwobenen Flussdelfine, die sich auf der Rückfahrt aus dem Dschungel um unser Boot tummeln. Meistens sind sie grau, einige sind aber pink. Man sagt uns, dass die Verfärbung eins Sache des Alters sei.

Am Dreiländereck

Was wäre ein Besuch am grössten Fluss der Welt ohne eine ausgiebige Flussfahrt? Trotzdem, wir ziehen das Schnellboot der dreitägigen Fährenfahrt mit Hängematten-Übernachtungen vor. So gelangen wir in zehn Stunden zu unserem nächsten Reiseziel, dem Dreiländereck von Peru, Kolumbien und Brasilien. Wir landen in Leticia, einer kleinen Dschungelstadt auf der kolumbianischen Seite des Dreiländerecks, und reisen somit in das letzte Land auf unserer Weltreise ein. Zu unserer Überraschung ist hier der Lebensstandard offenbar einiges höher als in den Nachbarländern, Häuser und Läden sind moderner. Erstaunlich ist, dass sämtliche Motorradfahrer Helme tragen. Bis jetzt ein ungewohntes Bild in Südamerika.

Habe ich zuvor gesagt, Kolumbien sei das letzte Land in das wir auf unserer Weltreise, so stimmt das nur bedingt. Wenn wir schon am einem Dreiländereck sind, dann drängt sich ein Besuch des dritten Landes ja schon fast auf. Deshalb unternehmen wir einen Abstecher nach Tabatinga, einer mit Leticia zusammengewachsenen Kleinstadt, die sich aber in Brasilien befindet. Bleiben wir nicht länger als vierundzwanzig Stunden da, brauchen wir nicht einmal einen Einreisestempel. Da aber Tabatinga nicht über den Charme von Leticia verfügt, erübrigt sich dies sowieso. Wir sind nämlich nach wenigen Stunden schon wieder zurück in Kolumbien. Trotzdem, wir können nun stolz sagen, dass wir auch Brasilien bereist haben.

 

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